Biologische Waffen: die tödliche Gefahr
(Text: Myriam Visram, Stefan Kunzmann – Chefredakteur „Revue„)
Ebola, Pocken, Pest. Diese Krankheiten haben hunderte Millionen Menschenleben gefordert und stellen noch heute eine große medizinische Herausforderung dar. Aber wie hoch ist die Gefahr, dass der Mensch diese Erreger gezielt einsetzt, um anderen zu schaden?
Einen Anschlag mit biologischen Waffen – für viele noch Science-Fiction, für andere eine reelle Bedrohung. Aber wie wahrscheinlich ist ein solcher Anschlag? „Biologische Waffen“ ist ein Überbegriff, der alle Bakterien, Viren, Pilze und Toxine beinhaltet, die als Waffe gegen Menschen in irgendeiner Form eingesetzt werden könnten. Aber ein solcher Anschlag kann nicht nur auf Menschen ausgeübt werden, sondern auch auf (Nutz-‚) Tiere oder landwirtschaftliche Ernten.
Die biologische Kriegsführung ist sicherlich keine moderne Errungenschaft. Es gibt sie, seit es Kriegsführung gibt, also so ziemlich, seit es Menschen gibt, die sich bekämpfen. So benutzten zum Beispiel die Assyrer im 6. Jahrhundert nach Christus bestimmte Pilzsporen, um die Brunnen ihrer Feinde zu vergiften. Ein weiteres historisches Beispiel ist die Nutzung von an der Pest verstorbenen Soldaten während der Besatzung der Stadt Caffa durch die Tataren im 14. Jahrhundert. Die durch die Pest geschwächte Armee nutzte die Körper der Verstorbenen als Vektor für die Krankheit, indem sie die Leichen über die Stadtmauern schleuderten und somit die besetzte Bevölkerung der Pest aussetzten. Da Caffa auch das Tor zu Europa war, ist auch die Theorie entstanden, dass diese Ereignisse verantwortlich für die Verbreitung der Pest und den Tod von Hunderten Millionen Menschen in Europa waren.
Es gibt zahlreiche weitere historische Beispiele: So wurde das Blut von Leprakranken als Gift benutzt oder im 17. Jahrhundert Artilleriegeschosse mit dem Speichel tollwütiger Hunde gefüllt. Ein anderes Beispiel lieferten die europäischen Eroberer Amerikas, die mit Pocken infizierte Decken an indigene Populationen verteilten, und damit über 90 Prozent der präkolumbianischen Population dezimierten. Das Vorgehen soll auch im nordamerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) zum Einsatz gekommen sein.
Systematisch erprobt wurde die Anwendung von Biowaffen ab dem 19. Jahrhundert. Das Deutsche Reich ließ sie während des Ersten Weltkriegs verstärkt erproben – auch sollen deutsche Agenten in den USA tausende Pferde und Rinder der alliierten Truppen, die für den Transport nach Europa bestimmt waren, unter anderem mit Milzbrand infiziert haben.
Im Zweiten Weltkrieg testeten die Nazis waffentaugliche Erreger an Insassen von Konzentrationslagern. Ähnlich verfuhr die japanische Armee mich chinesischen Kriegsgefangenen, und sie setzte 1941 mit Flugzeugen etwa 150 Millionen pestinfizierte Fliegen über Städten in der Mandschurei frei, so dass sich die Seuche ausbreiten konnte. Die alliierten Streitkräfte reagierten, indem sie eigene Biowaffenprogramme einrichteten: Die USA startete ein entsprechendes Forschungsprogramm 1942; Großbritannien produzierte bis 1945 etwa fünf Millionen mit Milzbrand verseuchte „Kuchen“, die über Deutschland abgeworfen werden sollten. Letzteres wurde zwar verworfen, aber zumindest wurde bei Tests die schottische Insel Gruinard kontaminiert, die fast ein halbes Jahrhundert unbewohnbar blieb.
Noch in den 1980er Jahren versuchte das Apartheidregime in Südafrika für die geheime Tötung von einzelnen Biobomben zu entwickeln, und im Irak ließ der Diktator Saddam Hussein größere Milzbrand- und Botulinumkulturen für sein Biowaffenprogramm züchten. Auch nach dem Kalten Krieg ging in der westlichen Welt die Angst um, Terroristen könnten sich unter anderem biologische Massenvernichtungswaffen besorgen und damit Anschläge verüben. In Japan erlangte die japanische Untergangssekte Omu Shinrikyo mit einem Anschlag in der Tokioer U-Bahn traurige Berühmtheit. Vorher hatten die Sektierer bereits mit Milzbrand experimentiert und – allerdings erfolglos – versucht, das Ebola-Virus zu beschaffen. Die weltweit berühmte Bhagwan-Sekte hatte schon 1984 im US-Bundesstaat Oregon einen Bioterroranschlag verübt, indem sie Salatbars in mehreren Restaurants und Auslagen in Gemüseläden mit Salmonellenbakterien vergifteten.
Die Angst vor dem Bioterror stieg nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Eine Zeit lang wurden sogenannte „Anthrax-Briefe“ verschickt. Die Milzbrandsporen landeten bei Medienanstalten ebenso wie bei Politikern. 22 Menschen wurden infiziert, fünf starben. Schon einige Jahre zuvor hatte eine US-Fernsehserie namens „BioWar“ denselbigen zum Thema.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind biologische Waffen recht einfach herzustellen oder anzuschaffen. Manche Erreger, die für einen biologischen Anschlag verwendet werden können, sind in unserer Umwelt omnipräsent und nicht besonders kompliziert in größeren Mengen anzuzüchten. Ein Anschlag mit biologischen Waffen ist leider sehr schwierig zu erkennen, da verschiedene Erreger einfach eine längere Inkubationszeit haben.
Die militärische Wirksamkeit von biologischen Waffen ist aber begrenzt – da die Erreger unspezifisch und indiskriminierend wirken, kann man sie nicht gegen den Feind einsetzen ohne seine eigenen Truppen einer gleichen Gefahr auszusetzen. Zumindest war dies lange die Philosophie der strategischen Kriegsführung. Auch die Entwicklung von Impfstoffen und die Wirksamkeit von Antibiotika änderten nicht viel daran, da diese auch für gegnerische Truppen verfügbar waren. So hing vorerst ein unausgesprochener Status quo in der Luft, der durch zahlreiche internationale Abkommen gegen den Einsatz von biologischen Waffen, wie das in 1972 unterschriebene „Biological Weapons Convention“, gestärkt wurde.
Mit der Entwicklung von präzisen und schnellen Genmanipulationsmethoden wie das CRISPR-Cas9 System hat sich jedoch das Blatt teilweise gewendet. Jeder der Zugang zu diesen Methoden hat, kann theoretisch Designer-Erreger produzieren, die spezifisch gegen bestimmte Menschen, Tiere oder Pflanzen gerichtet sind und gegen welche gängige Therapien möglicherweise nutzlos wären.
Eine der größten medizinischen Errungenschaften der Menschheit ist die Entwicklung von Impfungen. Ein Parade Beispiel ihrer Wirksamkeit ist die Ausrottung der Pocken – einer hochansteckenden und lebensgefährlichen Infektionskrankheit – durch das Impfprogramm der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 1980 erklärte die WHO die Pocken für ausgerottet und das Impfprogramm wurde eingestellt. Wo vorher noch fast alle Menschen geimpft waren, sind es jetzt nur noch sehr wenige.
Laut WHO Beschluss dürfen aber noch zwei Labore das Pockenvirus aufbewahren – eins davon ist in den USA und eins in Russland. Ob dies nun „Forschungszwecken“ dient oder den Status quo der Weltmächte bestärkt sei einmal dahingestellt.
Die Nutzung der Pocken als Waffe wäre nicht zielführend, da die ganze Menschheit bedroht wäre. Da das Virus aber noch in Menschenhand ist, ist die Gefahr eines erneuten Ausbruchs enorm groß, da auch die Möglichkeit einer unbeabsichtigten Freisetzung des Virus besteht. Ein gutes Beispiel dafür ist 2014 der Fund einer 60-jährigen Ampulle mit dem lebensfähigen Virus in einem Laborkühlschrank der NIH in Bethesda, Maryland. Dieser Fall wirft die Frage auf, wie viele solcher vergessenen Ampullen noch im Umlauf sind? Ob nun beabsichtigt oder ein Unfall, diese hochansteckende Infektionskrankheit würde sich, im Falle einer Freisetzung, rasant schnell durch eine ungeimpfte Bevölkerung ausbreiten können.
Jedem von uns läuft es kalt den Rücken herunter, wenn man über die Möglichkeit eines Ausbruchs einer Infektionskrankheit wie die Pocken, Ebola oder der Pest nachdenkt. Dabei sind diese nur die Spitze des Eisbergs. Etwas weniger dramatisch, aber genauso tödlich, könnten Anschläge auf Tiere oder Ernten sein, die Hungersnöte zur Folge hätten. Eine lang anhaltende Hungersnot oder keinen Zugang zu sauberem Wasser könnten unter anderem die wirtschaftliche Stabilität in Gefahr bringen, aber auch viele nicht vorhersehbare Konsequenzen.
Eine besondere Gefahr stellt die Angst dar – die Bedrohung durch eine schwere Infektionskrankheit, die Angst vor einer Hungersnot können Menschen sehr schnell in Panik versetzen und sie zu sonst undenkbaren Taten führen. Dazu kommt noch die rasante Art wie Nachrichten heutzutage um die Welt gehen und das bewusste Schüren von Angst, die damit einhergeht – oft liegt die Bedrohung nicht an der Waffe selbst, sondern an der Angst, die sie auslöst.
Es obliegt den verschiedenen Regierungen, einen Plan zu erstellen, der die Bevölkerung gegen einen solchen Anschlag schützt. So können Länder zum Beispiel immer einen Vorrat an bestimmten Impfstoffen oder medikamentösen Therapien bereit haben. Auf politischer Ebene war sicherlich das Genfer Protokoll zum Verbot chemischer und biologischer Waffen maßgeblich, das am 17. Juni 1925 36 Staaten unterzeichneten und dem sich bis heute ungefähr mehr als hundert weitere Staaten anschlossen. Das Protokoll wurde noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs verfasst: Deutsche Truppen hatten 1915 bei der Schlacht von Ypern 120.000 Tonnen chemische Kampfstoffe eingesetzt. In der Folge solcher Angriffe kamen rund 100.000 Menschen ums Leben, mehr als eine Million wurde verletzt.
So lange die Menschheit aber an biologischen Waffen forscht, ist die Gefahr einer unabsichtlichen Freigabe weitaus größer – der Mensch ist fehlbar. Und in unserer Zeit, in der das andere Ende der Welt nur einige Flugstunden entfernt ist, könnte ein Ausbruch einer hochansteckenden Krankheit nicht nur als Waffe zum ernsthaften Problem werden.
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