Mensch sein, Mensch bleiben – wie CRISPR-Cas9 unsere Welt verändert
Veröffentlicht im luxemburgischen Magazin Revue (Nr 3/2019)
Genetisch modifizierte Pflanzen, Tiere oder sogar „Designer-Babys“ – für viele ist dies noch Science-Fiction. Bis vor einigen Wochen, als uns die Nachricht aus China erreicht hat, die ersten durch CRISPR-Cas9 genmodifizierten Babys seien geboren worden. Aber welche Regeln und ethischen Grundsätze gelten bezüglich des Eingriffes in das menschliche Erbgut?
Das biochemische CRISPR-Cas9 System, eine der bahnbrechendsten wissenschaftlichen Entdeckungen unserer Zeit, hat in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht. Die ersten gen-editierten „Designer-Babys“ wurden angeblich geboren und damit wurde eine nicht unbedenkliche ethische Grenze überschritten. Aber was ist dieses System und wie funktioniert es?
Um das CRISPR-Cas System zu verstehen, muss man sich zuerst die Funktionsweise der menschlichen DNS (Desoxyribonukleinsäure) kurz anschauen. Diese lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: das ganze menschliche Erbgut besteht aus einer Vielzahl an Genen, kleine Portionen DNS, die jede eine spezifische Rolle in unseren Zellen spielen. Vieles was sich biochemisch in unserem Körper abspielt wird prinzipiell von unseren Genen gesteuert. Wenn Gene nicht richtig funktionieren, wie zum Beispiel im Falle einer schädlichen Mutation, so kommt es oft zu einem bestimmten Krankheitsbild. Manchmal genügt ein einziges defektes Gen um eine Krankheit hervorzurufen. Oft aber spielen mehrere Faktoren wie das Zusammenspiel verschiedener mutierter Gene sowie Umwelteinflüsse und/oder Lifestyle Entscheidungen bei der Entstehung einer Krankheit eine Rolle.
CRISPR steht für “Clustured Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats” und Cas9 für „CRISPR-associated 9“. Das CRISPR-Cas System ist ein biochemischer Mechanismus, der zuerst in Bakterien entdeckt wurde. Er ist Teil des bakteriellen Äquivalentes unseres Immunsystems und dient dazu Bakterien gegen Bakteriophagen (=Viren, die Bakterien befallen) zu schützen. Befällt ein Virus ein Bakterium, erkennt das CRISPR-Cas System die virale DNS, zerstört diese und verhindert somit eine Infektion und Verbreitung. Und genau diese Eigenschaft nutzen Wissenschaftler derzeit. Anstatt dass dieses System virale DNS erkennt, wurde es so verändert, dass es gezielt menschliche Gene erkennen kann. Wie eine „molekulare Schere“ kann das CRISPR System dann Gene an dieser Stelle durch verschiedene Mechanismen schneiden, mutieren, ersetzen oder ihre Aktivität modulieren. Die Schienen für einen schnelleren, präziseren und billigeren Eingriff in das (menschliche) Erbgut wurden damit gelegt.
Veränderungen im Erbgut gibt es seit jeher. Mutationen sind die treibende Kraft der Evolution. Beschafft eine Mutation dem Organismus einen Überlebensvorteil, so wird sie sich durchsetzen. Führt eine Mutation jedoch zu negativen Folgen, wird sie irgendwann aussterben.
Auch der Mensch nutzt die Kraft der Genetik schon seit tausenden von Jahren: man nehme das Beispiel der Haus- & Nutztierzucht. Kühe werden dazu gezüchtet mehr Milch oder Fleisch zu produzieren, Schafe mehr Wolle und Hunde werden für bestimmte Eigenschaften gezüchtet wie zum Beispiel für ihren Instinkt zu jagen, beschützen oder verteidigen. Diese selektiven Eingriffe in die Entwicklung einer Spezies benutzen die „natürlichen“ Eigenschaften der Vererblichkeit und passieren generell über mehrere Generationen hinweg.
Ob es „natürlich“ ist, den Wolf über Jahrtausende in hunderte verschiedene Hundearten zu züchten sei einmal so dahingestellt. Aber nicht nur in der Tier- & Pflanzenzucht, sondern auch in der Forschung wird mit genetisch modifizierten Organismen gearbeitet. Gezielte Änderungen im Genom von Modellorganismen wie zum Beispiel der Hefe, Mäusen oder Fliegen werden schon seit Jahrzehnten in der Grundlagenforschung benutzt um zu erforschen wie ein Organismus funktioniert.
In der Forschung kann das CRISPR-Cas9 System helfen, die Rollen und Aufgaben verschiedener Gene herauszufinden. In der Medizin können Krankheiten durch „Gene-Editing“ bekämpft oder gar geheilt werden. So kann dieses System zum Beispiel im Kampf gegen verschiedene Krebsarten oder Krankheiten wie zystische Fibrose oder Diabetes eingesetzt werden.
Es steht außer Frage, dass das positive Potenzial dieses Systems fast grenzenlos ist, aber dies galt auch für die Atomkraft. So wirft aber nicht das System selbst sondern dessen Anwendungsbereiche einige ethische Fragen auf. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Eingriff in bestimmte somatische (nicht reproduktiven) Zellen eines Individuums, (wie zum Beispiel die Veränderung von bestimmten Immunzellen um verschiedene Krebsarten zu bekämpfen) oder dem Eingriff in die vererbliche Keimbahn eines Menschen. In diesem Fall werden die genetischen Veränderungen Teil des Erbguts jeder Zelle dieses Individuums, und werden damit auch an dessen Nachkommen weitergegeben. Solche Veränderungen lassen sich nicht rückgängig machen und auf lange Zeit nicht kontrollieren, außer man greift in die reproduktive Freiheit dieser Menschen ein. Die Veränderungen werden dann Teil des menschlichen Genpools.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft empfindet es als durchaus vertretbar an genetisch veränderten Embryonen zu forschen so lange dies streng reglementiert ist und damit keine Schwangerschaft herbeigeführt wird. Und sogar bei verschiedenen klinischen Anwendungen ist die Nutzung dieses Systems absolut vertretbar. Gezielte Veränderungen in den somatischen (nicht reproduktiven) Zellen eines Menschen können Linderung oder gar Heilung von schweren Krankheiten bedeuten. Ein Mensch kann im Idealfall die Risiken abwägen, selbst entscheiden und da die Veränderungen nicht vererblich sind, ist die Integrität des menschlichen Genoms nicht gefährdet. Die Anwendung des CRISPR-Cas Systems für die Forschung und in einigen klinischen Fällen in einem kontrollierten Umfeld (und strengen Regeln) wirft daher nicht so viele ethische Bedenken auf wie dessen Anwendung an der menschlichen Keimbahn.
Der Eingriff in die vererbbare Keimbahn (z.B. Spermien, Eizellen) des Menschen wirft unzählige praktische und ethische Fragen auf. Sind die durch das CRISPR-Cas9 System verursachten Veränderungen zu 100% vorhersehbar? Die Wissenschaft weiß noch viel zu wenig über die präzise Funktion jedes einzelnen Gens und dem Zusammenspiel zwischen Genen, Umwelteinflüssen und Lifestyle-Entscheidungen, um die Konsequenzen verlässlich abzuschätzen. Darüber hinaus besteht auch immer die Möglichkeit, dass das System an einer ungeplanten Stelle der DNS eingreift, und dies zu völlig unerwarteten Konsequenzen führt („off-target effects“). Und doch werden hier auch Unterschiede gemacht zwischen dem Eingriff in das menschliche Genom zur Heilung von schweren Krankheiten (wo es keine akzeptable Therapiealternative gibt) und den Eingriff in das Genom zur „Verbesserung“ des Menschen.
Leitende Wissenschaftler in dem Gebiet unterscheiden daher nicht nur zwischen dem Eingriff in das Erbgut von somatischen (nicht vererblichen) Zellen oder der vererbbaren Keimbahn, sondern sie sehen auch einen Unterschied zwischen Forschung und klinischer Anwendung.
Vergleichbar mit den ethischen Diskussionen, die damals der Entdeckung der Atomkraft, des Klonens, der hormonellen Verhütung oder der in-vitro Fertilisation aufkamen, stehen wir heute vor der größten ethischen Fragestellung unserer Zeit: ist ein Eingriff in das menschliche Genom und die potenziell damit verbundenen transgenerationellen Konsequenzen ethisch vertretbar?
Die wissenschaftliche Gemeinschaft sieht das Potenzial der Genom-Editierung, ruft aber zur Vorsicht auf. Es wurde ein strenges Regelwerk aufgesetzt, unter welchen Bedingungen in die Keimbahn eingegriffen werden darf. Schon vor vielen Jahren hat die UNESCO die bioethischen Aspekte von Eingriffen in das menschliche Genom erkannt und 1997 die „Declaration on the Human Genome and Human Rights“ erstellt sowie das „International Bioethics Committee“ gegründet. In diesem Dokument wird unter anderem das menschliche Genom als kollektives Erbe der Menschheit klassifiziert.
Die „U.S. National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine“ haben 2015 einen Bericht publiziert in dem ein allgemein anerkanntes Regelwerk beschrieben wird. So sollte ein Eingriff in die vererbliche Keimbahn nur unter strengsten Regeln, Voraussetzungen und Aufsicht unternommen werden.
So lauten die Guidelines dass Gene-Editing zu Forschungszwecken sowie an somatischen Zellen zur Heilung und Bekämpfung verschiedener schwerwiegender Krankheiten akzeptabel ist. Ein Eingriff in die vererbliche Keimbahn darf nur unter strengster Aufsicht erfolgen und auch nur zur Bekämpfung/Heilung schwerwiegender genetischer Defekte und in Abwesenheit akzeptabler Therapie-Alternativen. Es wurde ein klares Verbot ausgesprochen in die Keimbahn des Menschen einzugreifen um eine „Verbesserung“ des Menschen zu erzielen.
Die Erfinder der CRISPR Methode, leitende Wissenschaftler in dem Gebiet sowie andere Organisationen wie die ISSCR (International Society for Stem Cell Research) unter anderem fordern ein Moratorium für das Manipulieren des Genoms in der vererblichen Keimbahn für klinische Zwecke, so lange nicht klares Wissen über die bis jetzt unvorhersehbaren Konsequenzen gibt. Es muss noch eine grundlegende und ausführliche Diskussion über die möglichen (bioethischen) Konsequenzen geben. Außerdem muss es einen informierten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konsens geben, bevor weitere Schritte in Richtung klinischer Anwendung unternommen werden können. Und zurzeit sind viele dieser Kriterien noch nicht gegeben.
Zu dem Fall, der angeblich gen-editierten Bays in China: Ob diese Versuche tatsächlich stattgefunden haben muss noch bestätigt werden, aber die Diskussionen rund um einen solch unethische Anwendung der CRISPR-Cas Technik wurde mit diesem Fall sehr beschleunigt. Ziel war es diesen Babys durch eine Mutation (im CCR5 Gen) eine Resistenz gegen den HI-Virus zu geben – etwas was durch verschiedene klinisch getestete Medikamente auch erreicht hätte werden können. Es liegt daher in diesem Fall kein klarer medizinischer Vorteil vor und es gibt sichere und gut erforschte Alternativen.
Eine natürlich vorkommende Mutation von CCR5 (delta32) kommt in circa 1 % aller Europäer vor. Es ist aber derzeit unklar welche Mutation die Babys tragen und ob die Mutationen wirklich von allen Zellen übernommen wurde – falls nicht, ist eine Immunität nicht zwangsläufig gegeben. Sollten die Babys eine unbekannte Mutation des CCR5 Gens oder gar „off-target“ Mutationen tragen, so wären die Konsequenzen absolut nicht vorhersehbar. Dazu kommt noch, dass eine CCR5 (delta32) Mutation zwar immun gegen HIV, jedoch viel anfälliger für andere Krankheiten wie zum Beispiel den West-Nil Virus macht. Äußerst bedenklich ist auch, dass diese Experimente unter solch „geheimen“ Bedingungen durchgeführt wurden – unter Ausschluss einer Aufsichtskommission, ohne Austausch mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und ohne peer-reviewed Publikation der Resultate. Zudem stellt sich die Frage ob diese Mutation als „Heilung“ einer Krankheit angesehen werden könnte oder eher als „Verbesserung“ des Menschen, da es nicht eine Infektion mit dem HI-Virus heilt, sondern diese verhindert.
Dieser Fall, sollte er tatsächlich stattgefunden haben, stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und gehört strengstens verurteilt, um in Zukunft solche Situationen zu verhindern. Wo liegt die Grenze zwischen der Bekämpfung einer Krankheit, der „Verbesserung“ eines Menschen oder gar einen Schritt weiter der Erschaffung einer „elitären“ Rasse? Dieser Fall hat den Gedanken der Eugenik wieder präsenter werden lassen. Es geht nicht mehr um ein paar Zellen im Labor. Die Frage stellt sich: Was macht uns als Mensch aus? Und wieviel davon sind wir bereit im Sinne des Fortschritts aufzugeben?
(Es wurde bewusst hier nicht auf die Aspekte der Epigenetik oder andere biochemische Einflüsse wie das Mikrobiom oder Umwelteinflüsse eingegangen, um die Diskussion themenrelevant zu belassen.)
Wenn du nicht immer Zeit hast auf dem Blog vorbei zu schauen, dann folge Milly’s Melting Pot einfach auf Facebook, Instagram oder Pinterest und verpasse nie ein neues Rezept! Oder melde dich zu meinem wöchentlichen Newsletter an, und bekommen alles bequem in deine Inbox geliefert!
Bibliographie
- The ISSCR Statement on Human Germline Genome Modification
- Die Internationale Debatte Um Genome Editing
- CCR5 deficiency increases risk of symptomatic West Nile virus infection
- On human gene editing: International Summit Statement
- Gene editing in human development: ethical concerns and practical applications
- The CRISPR Baby Scandal Gets Worse by the Day
- The Designer-Baby Era Is Not Upon Us
- CRISPR inventor Feng Zhang calls for moratorium on gene-edited babies
- Scientists seek ban on method of editing the human genome
- Is the CRISPR baby controversy the start of a terrifying new chapter in gene editing?
- Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights
- Open Letter calls for prohibition on reproductive human germline modification